Schmerzen beim Musizieren
schmerzender Nacken
Bild von Klara Kulikova by unplash

Schmerzen beim Musizieren – ein leider weit verbreitetes Problem

Viele Musiker:innen kennen das leider nur zu gut: die Probe oder der Orchesterdienst dauern wieder ewig. Auf einmal fängt das Ziehen in der Schulter an. Vielleicht versucht man in der Pause etwas zu lockern. Aber vergebens. Nun brennt die Schulter richtig. Es wird kritisch: Jetzt ist Schonhaltung angesagt und der Versuch startet, den Dienst irgendwie noch zu Ende zu bringen. Aber der nächste Dienst, die nächste Probe, das nächste Konzert oder vielleicht auch ein Probespiel stehen vor der Tür. Meist in nicht allzu großer zeitlicher Ferne.

Schmerz als Weckruf des Körpers

Der Schmerz an sich ist eigentlich etwas Positives. Denn unser Körper macht uns durch den Schmerz darauf aufmerksam, dass es irgendwo hakt, dass er mit einer Situation nicht zu recht kommt, dass Gefahr in Verzug ist. Bereits die Griechen der Antike bezeichneten Schmerzen als „die bellenden Hunde der Gesundheit“. Schmerz ist aber nicht nur das Mittel unseres Körpers uns darauf aufmerksam zu machen, wo körperliche Probleme bestehen, sondern das Mittel, um uns lernen zu lassen.

Lernprogramm Schmerzen

Erinnern wir uns an unsere Kindheit: Wie haben wir gelernt, dass es nicht gut ist eine heiße Herdplatte anzufassen? Wir haben gespürt, dass die heiße Herdplatte ziemlich weh tut und automatisch unsere Hand ganz schnell von der Herdplatte weggezogen. Wenn wir dabei zu langsam waren, hatten wir noch tagelang durch die schmerzende Hand immer wieder einen Reminder, dass die heiße Herdplatte wohl nicht so gut anzufassen ist. Diese Erinnerung hat sich somit im wahrsten Sinne des Wortes in unser Gedächtnis eingebrannt.

Dieses körperliche Programm, ich nenne es mal das Schmerz-Körper-Gedächtnis ist für solche Lernerfahrungen wie bei unserm Beispiel der Herdplatte sehr förderlich. Aber es lässt sich hieraus auch schon erahnen, was die Schmerzerfahrung beim Musizieren für das weitere Spielen bedeuten kann: Der Körper merkt sich das Schmerzgeschehen. Der Körper reagiert bei erneutem Reiz – wenn wieder gespielt wird – schneller mit Schmerzen. Und wenn dann trotzdem immer wieder gespielt wird, wird der Schmerz irgendwann chronisch. Er bleibt. Er wird stärker. Im schlimmsten Fall wird er unerträglich oder die Bewegungen oder die Spielhaltungen können nicht mehr ausgeführt werden. Der Körper macht dicht, sobald er wieder mit dem Umstand konfrontiert wird, dass musiziert werden soll. Wir sprechen dann vom Schreckgespenst aller Musiker:innen: der Entwicklung einer fokalen Dystonie.

Was passiert im Körper bei Schmerzen

Schmerzen entstehen durch unterschiedliche Einflüsse von außen auf unseren Körper: durch die Hitze bei der Herdplatte, durch das Gift im Bienenstich…Aber wie registriert unser Körper den Schmerz?

In fast allen Regionen unseres Körpers gibt es sogenannte „Schmerzfühler“, die Nozirezeptoren. Wir finden sie in unserer Haut, in den Schleimhäuten, den Muskelansätzen, Bändern, Sehnenscheiden und Gelenken. Besonders viele dieser Rezeptoren finden wir in der Nähe der Wirbelgelenke und Bandscheiben der Wirbelsäule, im Schultergelenk, an den Ansätzen der Handbeuger- und -streckermuskulatur am Oberarm, bei den Sehnenscheiden am Handgelenk und an den Fingerbeeren. Also vor allem da, wo es uns beim Musizieren gerne zwickt und zwackt.

Auch in der Muskulatur gibt es Nozirezeptoren. Vom Muskelkater kennen wir es ja zu Genüge. Diese Rezeptoren reagieren auf die Überlastung der Muskulatur und sorgen z.B. für die bekannte Milchsäureausschüttung, die wir dann als Muskelkater spüren.  Unser Körper möchte nun eigentlich geschont werden. Aber die Rückkoppelung der von den Rezeptoren an das Rückenmark gesendeten Reize führt leider nicht zu einer Entspannung der Situation, sondern zum Gegenteil: die Anspannung der strapazierten Muskulatur wird noch verstärkt.

Wir bewegen uns also auf einen Teufelskreis zu: Der Körper meldet mittels der Rezeptoren sein Gefahrensignal an den Körper und dieser verstärkt es noch durch die Rückkoppelung, wenn die Situation, die die Schmerzen ausgelöst hat, anhält. Wenn also die Probe oder der Orchesterdienst weitergeht, weitergespielt wird. Oder gleich ohne ausreichende Regenation am nächsten Tag dasselbe Übe- oder Dienstprogramm ansteht. Natürlich versucht sich der Körper unmittelbar zu helfen: Er wird versuchen über eine Schonhaltung andere Muskelpartien zu beanspruchen. Das führt dann oft zu Störungen im Bewegungsablauf, Spielfiguren laufen nicht mehr leicht, das Spielen fällt schwerer. Und mit der Zeit werden auch diese Muskelgruppen überbeansprucht und das Schmerzgeschehen weitet sich aus.

Veränderungen im Gehirn durch Schmerzen

Die Veränderungen des Körpers lassen sich sogar bis ins Gehirn verfolgen. Denn der eigentliche Schmerz wird in der Großhirnrinde im Gehirn erzeugt. Und da spielen verschiedene Regionen zusammen: zum einen die Körperfühlrinde, die dafür zuständig ist, den Schmerz zu lokalisieren. Zum anderen die Region, die für die emotionale Schmerzbewertung zuständig ist. Diese Region befindet sich in der vorderen Gürtelwindung und gehört zum limbischen System. Da das limbische System ja für unsere Emotionen zuständig ist, lässt dies auch den Rückschluss zu, warum es z.B. möglich ist, während eines mit Freude gespielten Stücks auf einmal wieder ohne Schmerzen spielen zu können. Die Schmerzschwelle wird durch die Ausschüttung der Glückshormone, der Endorphine, herabgesetzt. Adrenalin und Noradrenalin, die beiden wichtigsten Stresshormone, haben übrigens ebenso eine schmerzstillende Wirkung. Daher sind die Schmerzen durch die Aufregung bei einem Auftritt und der damit verbundenen Adrenalinausschüttung ggf. auch deutlich geringer oder werden vielleicht gar nicht mehr wahrgenommen.

Das Rindenmännchen. Eingekreist ist das Areal in der Gürtelwindung, in dem die emotionale Bewertung des Shmerzes vorgenommen wird.
Zeichnung Ute-Gabriela Schneppat
Das Rindenmännchen. Eingekreist ist das Areal in der Gürtelwindung, in dem die emotionale Bewertung des Shmerzes vorgenommen wird.
Zeichnung: Ute-Gabriela Schneppat

Man hat aber zwischenzeitlich auch herausgefunden, dass sich die Strukturen der Körperfühlrinde unter chronischen Schmerzen verändern. Das Areal, in dem die entsprechende Körperregion abgebildet wird, vergrößert sich. Hat ein Musiker oder eine Musikerin beispielsweise chronische Schmerzen im Daumen, dehnt sich das Daumenareal bis zu den benachbarten Arealen des Nackens und des Zeigefingers aus. Je größer das Areal wird, desto schmerzempfindlicher wird diese Körperregion und desto niedriger ist die Schmerzschwelle.

In meinem nächsten Blog-Artikel stelle ich dir eine Methode vor, mit der du etwas gegen chronische Schmerzen unternehmen kannst. Und in meinem Workshop am 24.10.2021 um 10 Uhr in Frankfurt/M. kannst du erfahren, was du selbst gegen deine Schmerzen tun kannst. Nähere Infos unter: Fort- und Weiterbildungen | DTKV – Landesverband Hessen (dtkv-hessen.de)